August Sander, Sekretärin beim Westdeutschen Rundfunk in Köln, 1931, Gelatinesilberabzug, Die Photografische Sammlung/SK Stiftung Kultur-August Sander Archiv, Köln
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Wilhelm Leibl, Die junge Pariserin, 1869, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln
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August Sander, Bauernpaar am Spinnrad, 1927, Gelatinesilberabzug, Die Photografische Sammlung/SK Stiftung Kultur-August Sander Archiv, Köln
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Wilhelm Leibl, Bauernjägers Einkehr, 1893, Öl auf Leinwand, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln
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August Sander, Selbstportät, um 1910, Gelatinesilberabzug, Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur, Köln
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Johann Sperl & Wilhelm Leibl, Leibl und Sperl auf der Jagd, um 1888, Öl auf Leinwand, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln
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Von Mensch zu Mensch – Wilhelm Leibl & August Sander

  

Vor fünfzig Jahren, 1964, starb in Köln der große Fotograf August Sander. Sein weitreichender Einfluss auf spätere Fotografen, etwa der Düsseldorfer „Becher-Schule“, oder auch auf Filmemacher wie etwa den österreichischen Regisseur Michael Haneke ist verschiedentlich dargestellt worden. Die Ausstellung „Von Mensch zu Mensch – Wilhelm Leibl & August Sander“ thematisiert erstmals das Verhältnis Sanders zur Malerei des 19. Jahrhunderts. Die Porträtausstellung konfrontiert seine Fotografien mit Gemälden eines Malers, den Sander selbst brieflich erwähnt: Wilhelm Leibl. Das Werk dieses Künstlers konnte der Fotograf bei einer posthumen Kölner Retrospektive 1929 in aller Ausführlichkeit kennenlernen. Leibl stammte aus Köln, verließ die Stadt 1863 und fand sein Glück als Maler andernorts – zunächst in München. Den in Herdorf (Westerwald) geborenen und aufgewachsenen Sander führte es zuerst ins oberösterreichische Linz. Berühmt wurde er aber als Fotograf in Köln, wohin er 1910 zog.

Zwar überschnitten sich ihre Lebensspannen um ein Vierteljahrhundert, doch haben sich die Wege von Leibl (1844–1900) und Sander (1876–1964) wohl nie gekreuzt. Wenn sie einander hier und jetzt doch noch begegnen, so ist dies auf eine Kooperation zwischen dem Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud und der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur, zweier Kölner Institutionen, zurückzuführen. Gemeinsam wurde der Dialog zwischen zwei herausragenden Meistern des Menschenbildes erarbeitet: Neun Ausstellungskapitel spüren einer überraschenden Vielfalt an Tangenten, Schnittpunkten und Parallelen nach, die das porträtistische Werk Wilhelm Leibls und August Sanders aufweist.
  

1. Söhne und Väter

Biografisches bildet in unserer Schau den Auftakt. An dieser Stelle sind Selbstporträts von Wilhelm Leibl und August Sander versammelt sowie Bildnisse ihrer Väter und – im Falle Sanders – auch der Kinder. In Leibls Selbstbildnis (Objekt-Nr. 1) entsteht eine reizvolle Spannung zwischen miniaturhaftem Format und skizzenhafter Malweise. Mit seinem Porträt des Vaters (Nr. 3) befindet sich Leibl bereits in einer potenziellen Konkurrenz zur Fotografie. Von einer (sogar mehrfachen) medialen Rückkopplung zeugt das frühe Selbstbildnis August Sanders (Nr. 2): Es gemahnt an Porträtgemälde des Franz von Lenbach – die ihrerseits bekanntlich oft unter Zuhilfenahme von Fotografien entstanden …

2. Archetypen

Die Überschrift dieses Kapitels verweist auf die berühmte „Stammappe“ Sanders, die in unserer Schau vollständig – inklusive einer äußerst raren Variante – ausgebreitet wird. Sie ist in hohem Maße nicht nur ein Album der (Westerwälder) Bauernschaft, sondern auch des alten Menschen. Wie in den folgenden Ausstellungskapiteln „Melancholia“ und „Zuversicht“ erhält man auch hier Einblick in historische, geschlechts- bzw. altersgebundene Rollenbilder. So wird beispielsweise deutlich erkennbar, dass der Rosenkranz in Leibls Bildnis der „Alten Pariserin“ (Nr. 14) kein reines Atelierutensil darstellt: Noch auf den Fotografien August Sanders hält die im eigenen Lebensraum abgebildete, alte Frau oft frommes Schrifttum in Händen.

3. Melancholia

Die Schwermut trägt hier – wie im Film des Lars von Trier (2011) – ihren alten lateinischen Namen. Das erinnert an Dürers berühmten Kupferstich „Melencolia“ von 1514 und verweist auf die gleichsam allegorische Qualität der hier gezeigten Bilder. Scheinen alte Frauen bei Leibl und Sander vor allem die Frömmigkeit zu repräsentieren (siehe Kapitel 2: „Archetypen“), so treten gemalte und fotografierte junge Frauen oftmals wie Verkörperungen der Melancholie auf. Selbst das „dunkle Gesicht“, das der alten Säftelehre und Humoralpathologie zufolge beim Melancholiker von der schwarzen Galle verursacht wird, fehlt nicht. Es wird hier, wie so oft in der Kunstgeschichte, begründet durch spezielle Beleuchtung (Nrn. 23, 27).

4. Posieren

Diese kleine, aber besonders spannende Gruppe von männlichen und weiblichen Einzelbildnissen zeichnet sich durch die auffallenden Körperhaltungen der Modelle aus. Sie signalisieren emotionale Ausdruckskraft, Selbstbewusstsein und Lässigkeit – vielleicht auch Coolness? Auf seinerzeit eher provokante Weise werden Künstlertum und Bohème als ebenso extravagante wie verlockende Gegenentwürfe zu bürgerlicher Saturiertheit vorgeführt. Kunsthistorische Vorbilder spielen eine große Rolle: Leibl zitiert die holländische Barockmalerei (Nr. 33). Sander ruft die Exaltiertheit eines El Greco (Nr. 35) und die Porträtkunst des Franzosen Ingres (Nr. 31) auf. Im Bildnis des Otto Dix (Nr. 32) werden auch Sanders Verbindungen zur Malerei der Neuen Sachlichkeit greifbar.

5. Zuversicht

Einen aus heutiger Sicht irritierenden Kontrast zu den im Ausstellungskapitel „Melancholia“ gezeigten Frauenporträts bilden die hier versammelten Männer mittleren und fortgeschrittenen Alters. Körpersprache und kompositorische Inszenierung der Herrenporträts sind deutlich konservativer: Sowohl die Gemälde als auch die Fotografien gehen mehrheitlich auf Schemata zurück, die in der Renaissance (vor allem bei Tizian) für das Fürsten- und Herrscherbildnis entwickelt wurden. Denker- und Seherposen dokumentieren Anerkennung und Selbstvertrauen. Sie verraten den männlichen Anspruch auf Dominanz in den Bereichen des wirtschaftlichen Erfolgs und der sozialen Kontrolle. Eine Ausnahme bildet das ebenso reduzierte wie konzentrierte, an ein Selbstbildnis gemahnende Juristenporträt Leibls (Nr. 39).

6. Ausschnitte

In der älteren Kulturgeschichte erinnern Fragmente (von Skulpturen, Gefäßen, Handschriften o.ä.) oft an Krieg, Bildersturm, Naturkatastrophen und Vernachlässigung. Wie die architektonische Ruine reizt das Fragment die Fantasie, versucht man doch unwillkürlich vom Teil auf’s Ganze zu schließen. Darin ist das fragmentarische dem unvollendeten Werk verwandt. Spätestens im 19. Jahrhundert entwickelte sich – auch unter dem Einfluss ostasiatischer Druckgrafik – eine Ästhetik des Ausschnitts. Sie trat in ein Wechselspiel mit technischen Errungenschaften von Fotografie (Sucher) und Film (cadrage). Ausschnitte sind bei Sander und Leibl unterschiedlich begründet, in Erscheinung und Wirkung aber vergleichbar. Den als Vergrößerung aus umfangreicheren Aufnahmen oder gezielt als Detail produzierten Fotografien stehen morceaux de peinture (Malereistücke) gegenüber, die auf tragische Bildschicksale verweisen.

7. Künstlerköpfe

Unter den Bildnissen Leibls wie Sanders finden sich auffallend viele Konterfeis von Künstlern – oft Malern, die mit dem Porträtisten bekannt oder sogar befreundet waren. Eine Gemeinsamkeit dieser Werke besteht in der Fokussierung auf prägnante Physiognomien. In vielen Fällen ist der Blick des Modells unverwandt auf den Betrachter gerichtet, bisweilen gar in quasi hypnotischer Weise (Nrn. 52, 53). Bedenkt man den Umstand, dass heute keiner der so alert wirkenden Künstler mehr am Leben ist, so fühlt man sich unwillkürlich an Edgar Allan Poe erinnert, einen Bewunderer der frühen Fotografie. In dessen Erzählung „The Facts in the Case of M. Valdemar“ (1845) wird der Tod eines Autors durch Hypnose suspendiert.

8. Innenwelten

Die hier gezeigten Bilder führen in scheinbar beschauliche Interieurs. Doch ergeben sich diverse Fragen: Prägen die Räume ihre Benutzer oder umgekehrt? Handelt es sich bei den Gemälden und Fotografien um Porträts oder Genrebilder? Bisweilen bleibt sogar unklar, ob die dargestellten Tätigkeiten als Muße oder Arbeit, Pflicht oder Kür begriffen werden. Vor dem Hintergrund von Weberdarstellungen des späten 19. Jahrhunderts – etwa bei Gerhart Hauptmann und Käthe Kollwitz – erstaunen die scheinbar unpolitischen, nur an künstlerischen Problemen (wie Licht, Atmosphäre usw.) interessierten Darstellungen von Leibl und Sander. Revolutionär ist jedenfalls sein malerisches Vordringen in die fotografische Ästhetik mit einer voll signierten Riesenskizze (Nr. 63).

9. Außenwelten

Einer einflussreichen wissenschaftlichen These zufolge entsteht die künstlerische Landschaftsdarstellung erst in dem Moment, wo sich der Mensch (etwa als Städter) der Natur entfremdet fühlt. Angesichts aktueller Outdoor-Begeisterung und der zugehörigen Freizeitindustrie fällt auf, in wie hohem Maße die Natur sowohl bei Leibl als auch bei Sander noch als Arbeitsraum aufgefasst wird. Dieser Gemeinsamkeit zum Trotz zeigt sich hier, dass ein August Sander für seine Pleinair-Fotografie eher auf französische Vorbilder wie den vor-impressionistischen Maler Jean-François Millet zurückgreift als auf den Deutschen Wilhelm Leibl. Umgekehrt sind immerhin zwei Gemälde (Nrn. 69 und 72) präsent, die unter Verwendung fotografischer Vorlagen – freilich nicht von Sander – entstanden.

  

Salzburg Museum | Neue Residenz | Kunsthalle

11. Juli 2014 bis 5. Jänner 2015

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